warum Death Stranding: Brückenschlag in einer zerbrochenen Welt und warum ich einfach nicht loslassen kann

warum Death Stranding: Brückenschlag in einer zerbrochenen Welt und warum ich einfach nicht loslassen kann

reading time: 5 minutes

der melodische Reiz einer zerbrochenen Symphonie

Gieß dir eine Tasse dieses herben Vergnügens ein, liebe Leserin, lieber Leser. Ja, jenes, das sich anfühlt, als wären J.R.R. Tolkien und Depeche Mode an einem geheimen nächtlichen Treffpunkt irgendwo zwischen Mittelerde und einem schummrigen Undergroundclub aufeinandergetroffen. Trink einen Schluck, denn wir brechen auf zu einem Trip, der mit Hideo Kojimas psychedelischem Meisterwerk, Death Stranding, beginnt.

Warum gerade Death Stranding? Warum nicht die weiten Ebenen von The Legend of Zelda erkunden oder in den vibrierenden, kinetischen Welten von Mario herumtollen? Ganz einfach: Genauso wie ein selbsternannter Connaisseur einen 17-minütigen Progressive-Metal-Track à la Tool einem 3-minütigen Pop-Hit vorzieht, gibt es einen Reiz im Komplexen, eine Faszination im Verworrenen. Aber lass mich etwas ausholen ...

nach Hyrule oder ins Pilzkönigreich? der Gaming-Nexus und meine Wahl

The Legend of Zelda, mit seiner tiefgründigen Mythologie und fesselnden Abenteuergeschichte, könnte man als das Epos unserer digitalen Zeit bezeichnen – die Ilias des 21. Jahrhunderts, wenn man so will. Die Welt von SuperMario hingegen ist mehr als nur auf Goombas rumzuhüpfen oder Prinzessinnen zu retten. Es ist eine Rückbesinnung auf das Elementare: auf pure Freude. Marios Abenteuer wecken die Sehnsucht nach einfacheren Erzählungen, wie Charlie Chaplins Modern Times, aber mit Sternenstaub bestreut.

Also, warum nicht diese ikonischen Meisterwerke sezieren? Weil, so einladend die Erzählungen von Link oder Mario auch sind, letztlich sind es Geschichten, die wir schon gehört, gesehen und gefühlt haben. Aber Death Stranding? Death Stranding ist wie ein von Dalí geworfener Curveball in einem 4D-Raum – unvorhersehbar, ungewöhnlich und unbestreitbar faszinierend. Sowohl Zelda als auch Mario stellen den Höhepunkt ihrer jeweiligen Erzählstile dar, aber ich war nicht auf der Suche nach einem Gipfel, sondern wollte das unbekannte Tal durchwandern. Ich will unsere ikonischen Spielelegenden nicht mit Pilzen oder Meisterschwertern bewerfen, aber mit Death Stranding bin ich nicht nur auf der Jagd nach dem Triforce, sondern suche die Essenz der Verbindung in einer Welt am Rande der Unverbindlichkeit. Und das ist eine Quest, die man weder mit einem Rupee noch mit einem Superstern kaufen kann.

homo ludens, oder wie man 'Mensch' spieltn

Death Stranding erschien zu einer Zeit, in der die Bedeutung von Verbindungen hinterfragt wurde. Von Cambridge Analytica bis hin zu seltsamen Zoom-Calls (erinnerst du dich an den Zoom Cat Lawyer? Gute Zeiten ...), unser Gefühl der Verbundenheit hat sich gewandelt. Und dann kommt dieses Game, das die kühne Frage stellt: "Was wäre, wenn es bei der Verbindung nicht darum geht, anwesend zu sein, sondern Abwesenheiten zu verstehen?" Und dann kam dieses Spiel, das kühn fragte: "Was, wenn Verbindung nicht nur Anwesenheit bedeutet, sondern das Verständnis von Abwesenheiten?"

Weißt du, ich wuchs in der Ära des Tamagotchi auf, eine Zeit, in der man sich um eine pixelige Kreatur kümmerte, sie nährte, ihr beim Kacken zusah, nur um sie schließlich ... nun ja, sterben zu lassen. Dann wechselten wir schnell zu Facebook-Likes. Illusion der Verbindung auf dem Höhepunkt! Nun lass uns das neben die Welt von Death Stranding setzen – verlassen, isoliert, aber zutiefst verbindungssehnsüchtig. Unheimlich, oder? Und, seien wir ehrlich. So faszinierend das chirale Netzwerk von Death Stranding auch war, hat es euch, die ihr das Spiel gespielt habt, nicht auch ein wenig an Twitter (jetzt X – oder umgekehrt, wie auch immer) erinnert? Daten, Nachrichten von Unbekannten, die euch auf eurem Weg helfen oder ihn behindern. Es ist, als hätte Kojima einen Blick in unsere Welt geworfen, Twitter-Trolle gesehen und gesagt: "Ja! Das! Aber mach es ... gespenstischer."

Der Ethnologe Richard Dawkins führte in The Selfish Gene (1978) das Konzept der Meme ein – Ideen, die sich selbst fortpflanzen, ähnlich wie Gene. Wenn die Gene die Biologie diktieren, diktieren die Meme die Kultur. Und welches Mem wäre in der heutigen Zeit besser geeignet als "building bridges, not walls"? In dieser Zeit der Spaltungen erinnerte mich Kojimas Werk an das verschlungene Netz, das wir in Matrix gesehen haben, wo die Verbindungen nicht nur physisch oder digital, sondern zutiefst existentiell waren. Isolation ist in gewisser Weise eine Wahl – eine leichte Wahl. Die Verbindung hingegen, mit all ihren Herausforderungen und Verwicklungen, ist ein mutiges Unterfangen.

Der Kulturhistoriker Johan Huizinga vertritt in seinem bahnbrechenden Werk Homo Ludens (1938/1939) die Ansicht, dass das Spiel eine Grundvoraussetzung für die Entstehung von Kultur ist und sogar eine notwendige Bedingung dafür darstellt. Hier haben wir also Death Stranding, das buchstäblich "keep on keeping on" als Tagline hat und uns daran erinnert, dass wir im Wesentlichen spielerische Wesen auf der ständigen Suche nach Bedeutung sind. Die Einsamkeit von Sam Porter Bridge (ein Name, den Kojima so offensichtlich gewählt hat, dass es wehtut), seine Odyssee durch fragmentierte Landschaften sind Allegorien für unsere eigene Reise durch eine Kultur der Fragmentierung. Um die einzigartige Stellung des Menschen zwischen Natur und Kultur zu beschreiben, prägte der Kulturanthropologe Clifford Geertz, im Anschluss an Max Weber, die Idee davon, dass der Mensch ein Tier sei, dass in ein Bedeutungsgewebe verstrickt sei, das er selbst gesponnen hat. Sam verkörpert diesen hybriden Status zwischen Biologie und Symbolik auf fast archetypische Weise. Als Brückenbauer zwischen isolierten Städten hat Sam mehr getan, als nur Fracht zu transportieren. Er hat den menschlichen Geist wiederhergestellt. Und ist es nicht das, was wir alle im annus horribilis des Jahres 2020 zu tun versuchen? Sams Odyssee war unsere Odyssee.

Also warum dieses Spiel, warum jetzt? Und warum für eine Habilitation?

Weil es ein Spiegel ist. Ein wunderschön zersplitterter, vielschichtiger Spiegel.

Death Stranding ist ein Spiegelbild unserer Zeit, unserer Sehnsucht nach Verbundenheit in einer zunehmend fragmentierten Welt. Wie der Soziologe Zygmunt Bauman treffend analysierte, leben wir in Zeiten einer "flüssigen" Moderne, in der traditionelle Bindungen und Gemeinschaften obsolet geworden sind. An diesem Punkt könnte man nostalgisch werden und die vermeintlich gute alte Zeit beschwören. Aber das würde uns nicht weiterbringen. Stattdessen müssen wir uns des dynamischen Charakters unserer soziokulturellen Entwicklung bewusst sein – und akzeptieren, dass Veränderung das einzig Beständige ist. Und wie Lewis Carrolls Alice vielleicht sagen würde, muss man manchmal durch den Spiegel gehen, um die Welt, die man hinter sich gelassen hat, wirklich zu verstehen. Und geht es in der Wissenschaft nicht im Kern darum, Zusammenhänge zu verstehen? Was wäre also besser geeignet als ein Game, das das menschliche Gefühl von Verbundenheit und Unverbundenheit und das Wesen von Beziehungen in einer Zeit, in der unsere Realität ihre virtuelle Dystopie widerspiegelt, auf intensive und doch feinfühlige Weise zum Ausdruck bringt.

related references:
  • Bauman, Zygmunt. 2000. Liquid modernity. Cambridge: Polity Press.
  • Dawkins, Richard. 1976. The selfish gene. Oxford University Press.

share your thoughts

Your email address will not be published. Required fields are marked *

DE
Nach oben scrollen